Eine kleine Weihnachtsgeschichte aus meiner Fahrenszeit

Ende der sechziger Jahre fuhr ich bei der DSR ( Deutsche Seereederei Rostock ) als Kochsmaat / Bäcker. Wir fuhren mit dem Typ IV Schiff „Freundschaft“ auf großer Fahrt nach Indien. Vor dem Auslaufen aus dem Heimathafen Rostock (im August) bekamen wir von der Schiffsversorgung nicht nur Proviant, sondern auch mehrere Weihnachtsbäume geliefert. Diese wurden anschließend in der Frostlast verstaut. Weihnachten feierten wir dann bei ca. 38º Celsius in der Hafenstadt Cochin in Südindien. Vor dem Fest wurden aber schon die Weihnachtsbäume anständig „präpariert“. Hierunter ist nicht das Schmücken im herkömmlichen Sinn zu verstehen, sondern eine Methode um das Abfallen der Nadeln nach dem Auftauen zu verhindern.

Weihnachtsbaum wird gespritztWeihnachtsbaum wird gespritzt

Da die Seeleute sehr praktisch veranlagt sind, wurde das „Problem“ auf einfache Art gelöst. Hierzu wurde der Baum schnell an Deck mit der Spitze nach unten auf gehängt. Kurze Zeit später näherte sich ein mit einer Spritzpistole bewaffneter Matrose den Baum und überzog diesen mit einem grünen Farbanstrich. Nach getaner Arbeit wurde der Baum von allen Seiten wohlwollend betrachtet, denn nur dem schönsten Baum wurde eine besondere Ehre zuteil. Aus alter Tradition gehört der schönste Baum auf dem höchsten Mast des Schiffes und so begann dessen letzte Reise. Von weitem kündete danach der beleuchtete Baum von einem deutschen Schiff.
Für die Mannschaftsmesse war auch ein Weihnachtsbaum vorgesehen, nur wurde von der Schiffsleitung bei diesem Baum die Variante Spritzpistole abgelehnt. So lag nun der Baum ohne Nadeln von niemand beachtet traurig und verlassen auf dem Deck unseres Schiffes.

wir mit unserem Bäumchenwir mit unserem Bäumchen

Da kam uns eine Idee, indem wir die Spitze des Baumes als kleines eigenes Bäumchen für unsere Kammer ausschmückten. Dazu wurden die Zweige mit dem Pinsel leicht grün gestrichen und anschließend das Bäumchen mit viel Lametta und kleinen Kugeln behangen. Unser nadelloses „Lamettabäumchen“ hatte so noch seinen großen Auftritt und wurde von vielen Besatzungsmitgliedern bewundert.
Unser großer Baum auf dem Schiffsmast lockte westdeutsche Seeleute auf unser Schiff und so feierten zusammen das Fest. Wobei die Gedanken der meisten Seeleute zu Weihnachten sowieso nicht auf dem Schiff, sondern zu Hause bei ihren Familien und besonders bei den Kindern waren.

unser Baum an Deckunser Baum an Deck

Eine Weihnachtsüberraschung der besonderen Art ist mir in bleibender Erinnerung geblieben. Mit großem Aufwand waren Angehörige des Betriebsleitung schon weit vor Auslaufen des Schiffes aktiv. Hierzu setzten diese sich heimlich mit den nächsten Familienangehörigen in Verbindung und machte Aufzeichnungen mit Weihnachtsgrüssen an die Angehörigen auf dem Schiff. Diese Aufzeichnungen wurden dann ohne Vorwarnung während der Feierstunde durch den Lautsprecher übertragen. Noch heute höre ich die zittrige Stimme meiner Eltern durch den Lautsprecher klingen! Anderen Besatzungsmitgliedern standen Tränen in den Augen als sie die guten Wünsche ihrer Kinder und Liebsten hörten. Die Ehefrauen kannten natürlich auch die kleinen Schwächen ihrer Männer und so gab es auch kleine Ermahnungen, die zumindest für einige Tage ihre Wirkung nicht verfehlten.

Ein Seemann auf See wünscht sich zu Weihnachten viel Arbeit und somit wenig Zeit zum Nachdenken.