Eine wundersame Weihnachtsgeschichte aus der Heimat
(Fischländer Weihnacht)

Anno 1796 ging die Fischländer Galjaß „Marianne Godenhoop“ mit Kapitän Claus Hinrich Footh schon drei Wochen vor Ostern in See. Als Steuermann nahm er Johann Christopher Geerds mit, da dessen Schwiegersohn erkrankt war. Dies kam dem Steuermann gerade recht, denn beim Bau seines eigenen Schiffes gab es Verzögerungen und Geld benötigte er mehr als dringend. Um nicht etwa auf Rostocker oder Stralsunder Schiffen anheuern zu müssen, fuhr er lieber beim alten Geizkragen Footh.
Bis Anfang September ging alles nach Plan und es stand im alten Jahr nur noch eine Fahrt nach Newcastle an Den kurzen Zwischenstopp nutzte der Steuermann um seine Familie zu besuchen.
Am Abend vor der Abfahrt hatte der 15 jährige Sohn schüchtern gebeten, ihn mitzunehmen. Aber Johann Christopher hatte die Pfeife aus dem Mund genommen und war dem Jungen über das helle Haar gefahren: „Du bleibst hier!“ Sein Sohn ließ den Kopf hängen. Da fügte er ein wenig leiser hinzu: “Ich will nicht, daß du bei dem alten Footh deine erste Reise machst; er hat nie genug Hände an Bord, denn er kann vor Geiz nicht in den Schlaf kommen. Er segelt mir zu dicht an der Ewigkeit vorbei.“ Elsbeth Geeds freute sich, daß sie den Jungen noch einen Sommer bei sich behielt. Ihr war das Herz schwer, als ihr Mann wieder in See ging. Sie wußte selbst nicht warum. Ihr Vater und ihr Bruder waren auf See geblieben, so war sie ein wenig still und schreckhaft geworden.
Nun kam der Herbst und ein Schiff nach dem anderen lief im Heimathafen ein. Als Allerheiligen und Allerseelen auch vorbei waren fehlten nur noch die Robbenschläger und Kapitän Footh.

Fischerboot

Nun wurden die Tage immer kürzer und am 1. Dezember traf auch Kapitän Henk von der Schonerbrigg „Barbara“ ein. Er ging sofort ins Pastorat und berichtete: Die „Marianne Godenhoop“ war in der Jammerbucht bei schwerem Nordwest aufgelaufen und mit Mann und Maus gesunken.
Nachdem der Pastor seinen schweren Gang zu Christine Footh hinter sich hatte ging er schweren Herzens weiter. Als er in die Tür des Steuermanns trat, wurde die Frau blaß wie ein Lacken und schrie und weinte nicht. Sie sagte nur ohne Klang in der Stimme: „Es kann ja nicht sein, Ehrwürden! Das würde ich wissen“.
Zu Hause sagte der Pastor zu seiner Frau: „Ich fürchte Elsbeth Geerds wird wunderlich.“
So wollte sie die weiße Witwentracht nicht anziehen und war kaum zu bewegen, den Trauergottesdienst in der Kirche zu besuchen.
Sie hielt ihre kleine Wirtschaft in Ordnung und deutlich spürte man, das Hauswesen harrt seines Herrn.

Acht Tage nach dem Trauergottesdienst kam er von der Arbeit heim. Die Mutter war zu einer Nachbarin gegangen, im Zimmer war nur die Magd und schaute zum Fenster hinaus. Als sie Andrees hinter sich stehen sah, ging der Ausdruck tödlichen Erschreckens über ihr Gesicht. „O Andrees“ sagte sie, „häst du mi oewer de Schullern käken?“ Der Junge fuhr auf, wie jemand, der aus dem Schlaf geweckt wird. „Andrees“, wiederholte die Alte, „häst du mi oewer de Schullern käken?“ Er nickte. „Dat haddst du nich daun müßt.“ Der Junge schüttelte stumm den Kopf, „dat hadd ick woll nich!“ Dann war er gegangen.

Am 24. Dezember war der Nebel besonders dicht und Elsbeth Geerds wurde immer unruhiger. Nachmittags um 6 verbreitete sich im Dorf die Nachricht, daß draußen weit am Rande des Eises ein großer Segler festsäße. Die Männer schüttelten den Kopf, das war eine böse Sache. Kam jetzt Sturm auf, so war das Schiff, eingefroren wie es war, verloren und mußte gnadenlos auf den Sandbänken zu Bruch gehen. Abends um acht, als man beim Festmahl saß, kam ganz dumpf dreimal der Hall eines Kanonenschusses von See her. Das Schiff gab Notsignale. Gleichzeitig stieg im Nordosten eine dunkel graue Wand empor. Einzelne Stöße wuchteten heran. Über die verschneite Fläche ging ein Knistern und Grollen. Wahrscheinlich war das Schiff schon lange eingefroren gewesen und vom Küstenstrom in langsamer Fahrt mitgenommen und in die Bucht hineingetrieben. Nun war Feuerung und Proviant knapp geworden oder ausgegangen, man fror, man hungerte, und heute war Christnacht.

Ostseestrand im Winter

An der alten Schifferbörse sammelten sich die Männer. In dichten Flauschjacken, in Pelzen und Seestiefeln. Die Frauen standen dabei mit angstvollen Gesichtern, aber sie wußten, was jetzt kommen würde. Keine halbe Stunde dauerte es, da war ein Trupp zusammen, Säcke voll Lebensmittel, Kohlen und Holz auf dem Rücken. Springstöcke und zwei große Planken, um die Rinnen draußen zu überbrücken, waren zur Hand, und dann ging es hinab an den Strand. Kapitän Henk führte den Zug. Als er sich schon auf dem Eise noch einmal nach den hellen Lichtern des Dorfes umwandte, sah er zu seinem Schrecken, daß Andrees sich dem Zug angeschlossen hatte. „Jung, gah tau Lann“, sagte er mit schwerer Stimme, „du büst de Letzt.“ Aber der Bursche packte seinen Springstock fester. „Jung, gah tau Lann“, wiederholte der Alte. „Ick möt mit! Stieß jener hervor, „Vadder röppt!“ Und der Alte erkannte, daß alles Zureden vergeblich sein würde. „In Gotts Namen“ sagte er. Und dann ging es hinein in die Nacht.
Von jenem Gang über das knisternde Eis hat man lange im Dorf erzählt. Neben dem Führer, wie ein Jagdhund auf der Fährte, unbeirrbar, sprang Andrees über die breiten Spalten, die dunkel zwischen den hellen Schollen klafften. Der Wind nahm zu, sorgenvoll gingen Henks Blicke zurück. Wenn der Wind umsprang, wenn Planken und Springstock beim Rückweg nicht mehr reichen würden, war die kühne Mannschaft verloren. Sie trieben hinaus in die See, und heute war Christnacht! Endlich, endlich traten die dämmernden Umrisse des Schiffes aus dem Nebel. Der Mond war über den Horizont emporgestiegen und schimmerte glührot durch das Dunkel. Jetzt standen sie vor einer langen breiten Spalte, und was nun geschah, spielte sich viel schneller ab, als man erzählen kann. Vom Schiff her zuckte plötzlich ein matter Schein, der schwache Hall eines Musketenschusses klang dumpf aus dem Nebel, und dann kam , ganz fern aber deutlich ein Ruf „Wohrt Juch!“ Ein Klatschen, als wenn ein schwerer Körper auf die Wasserfläche aufschlägt, ein Plätschern, dann war alles still. Gedankenschnell aber sprang der Junge mit einem verzweifelten Anlauf über den Spalt, lief in das Dunkel und schrie: „Hier Vadder, hull ut!“ In diesem Augenblick zog ein dichter Schwaden von Nebel über das Mondlicht, so daß alles dunkel war. Die Rettungsmannschaft stand wie erstarrt. „Holl ut!“ hörten sie noch einmal aus weiterer Entfernung, dann eilige Schritte auf dem Eis. Sie hielten; den Sprung nachzutun wagte keiner. Aber der Wind, der bisher stoßweise gewuchtet hatte, frischte jetzt auf und stand stur aus Nordost. Die Scholle drüben fing an, ganz langsam heranzutreiben. Man wartete. Eine Viertelstunde verrann, noch eine. Der Zug hatte sich am Ende des Eisfeldes auseinandergezogen, jetzt kamen Rufe vom rechten Flügel. Die eine Planke reichte. Vorsichtig ging ein Teil der Jüngeren hinüber, ganz langsam und zögernd tauchten sie, zu einer Reihe auseinandergezogen, jetzt kamen Rufe vom rechten Flügel. Die eine Planke reichte. Vorsichtig ging ein Teil der Jüngeren hinüber, ganz langsam und zögernd tauchten sie, zu einer Reihe auseinandergezogen, in den Nebel ein. Vor ihnen ein dunkler Fleck, zwei Gestalten, einer auf den Knien liegend, den anderen eng an sich gedrückt, ihn mit dem Mantel bedeckend, es war Andrees und - sein Vater Steuermann Geerds.
Er war mehr tot als lebendig, erstarrt von der eisigen Kälte, die Hände blutiggerissen vom körnigen Eis. Man zwang ihn empor, ein Schluck Branntwein brachte ihn soweit, daß er stehen konnte, zwei Männer legten seine Arme sich um den Hals und zwangen ihn, zu gehen und zu laufen. Dann begann das Blut zu kreisen. Man warf ab, was man an Proviant und Kohlen hatte, dann ging`s zurück. Als man den Strand erreicht hatte, zog Kapitän Henk den Südwester: „Wir danken dir, Herr denn du bist freundlich, und deine Güte währet ewiglich.“